Mitglied bleiben oder nicht? Kirchensteuer und die Frage nach echter Wirkung

Christoph Lindenberg
22. Oktober 2025
Mitglied bleiben oder nicht? Kirchensteuer und die Frage nach echter Wirkung

Wer Seelsorge, Gemeinschaft und Traditionen schätzt, findet in der Kirche ein über Generationen gewachsenes Angebot. Doch viele Mitglieder bleiben nicht aus Glaubensgründen, sondern aus Solidarität mit kirchlichen Kitas, Schulen oder Krankenhäusern in der Kirche – in der Annahme, ihre Kirchensteuer stütze diese Einrichtungen wesentlich. Doch was finanziert die Kirchensteuer tatsächlich? Wer trägt die sozialen Einrichtungen unter kirchlichem Dach und was folgt daraus für alle, die mit jedem Euro möglichst viel Gutes bewirken möchten?

Mechanik der Kirchensteuer

Kirchensteuer ist ein Zuschlag auf die Einkommensteuer (nicht auf das Einkommen): 8 % in Bayern und Baden-Württemberg, 9 % in den übrigen Bundesländern. Sie wird über die Finanzämter erhoben und an die Kirchen abgeführt; auf Kapitalerträge erfolgt die Erhebung automatisiert über das sogenannte KISTAM-Verfahren (Kirchensteuereinzug auf Abgeltungsteuer). Dabei beträgt die effektive Kirchensteuer auf Kapitalerträge rund 0,7 % (bei 8 %) bzw. 0,8 % (bei 9 %) des Kapitalertrags, zusätzlich zur Abgeltungsteuer von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag.

2024 flossen so netto rund 12,6 Milliarden Euro an Kirchensteuern: etwa 5,97 Mrd. Euro an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und 6,63 Mrd. Euro an die katholische Kirche. Das Aufkommen reagiert damit spürbar auf Beschäftigung, Löhne und Kapitalerträge; seit den Austrittsrekorden 2022/2023 schrumpft die Zahlerbasis, zugleich stabilisieren Lohnzuwächse und ein robuster Arbeitsmarkt die Einnahmen (Quellen: EKD – Statistik Kirchensteuer, Deutsche Bischofskonferenz – Kirchensteuer, BZSt – Kirchensteuer auf Kapitalertragsteuer).

Wofür wird das Geld verwendet?

Haushaltsinformationen aus Diözesen und Landeskirchen zeigen ein klares Muster:
Der größte Teil fließt in Seelsorge und Gemeindeleben mit dem dazugehörigen Personal. Danach folgen der Unterhalt von Gebäuden, die Pflege des kulturellen Erbes sowie Verwaltung und Querschnittsaufgaben wie Organisation, IT, Rechtsdienst und Finanzausgleich. Ergänzend gibt es Zuschüsse an kirchliche Träger und Projekte – etwa zur Deckung von Defiziten oder als Eigenanteil bei geförderten Vorhaben. Die Anteile variieren je Bistum oder Landeskirche, der Schwerpunkt liegt jedoch fast überall auf den Primärfunktionen der Kirche und der dafür nötigen Infrastruktur.

Trägerschaft ist nicht gleichbedeutend mit Finanzierung

Hartnäckig hält sich der Glaube, dass Kirchensteuer soziale Einrichtungen wie Kitas, Pflegeheime oder Krankenhäuser maßgeblich finanziert. Tatsächlich sind Caritas und Diakonie zwar die größten Verbände der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland, sie sind jedoch rechtlich eigenständige Träger unter kirchlichem Dach – ihre Finanzierung erfolgt fast vollständig aus öffentlichen Mitteln.

Kirche und ihre Wohlfahrtsverbände agieren dabei als staatlich beauftragte Dienstleister: Sie übernehmen Aufgaben, die der Staat gesetzlich garantieren muss. Auch wenn sie diesem Auftrag großteils effizient nachkommen, werden Löhne, Sachkosten und Investitionen in aller Regel durch Kommunen, Länder, Sozialversicherungen und Eigenbeteiligungen der Nutzerinnen getragen – etwa über Fallpauschalen der Krankenversicherung, Leistungen der Pflegekassen, Zuschüsse nach dem Sozialgesetzbuch oder Elternbeiträge.

Der kirchliche Eigenanteil liegt laut dem Sozialwissenschaftler Carsten Frerk bei rund 1,8 % des Gesamtetats von Caritas und Diakonie – also weniger als zwei Prozent der tatsächlichen Kosten. Beim Beitrag der Kirchen handelt es sich damit eher um einen symbolischer Zuschuss, als um eine Aufrechterhaltung des Systems (Quelle: Deutschlandfunk Kultur – „Kirchenaustritte: Brechen Sozialleistungen weg?“).

Bereichsspezifische Finanzierung

  • Kitas: getragen von Kommunen und Ländern, ergänzt um Elternbeiträge; kirchliche Eigenmittel spielen eine Nebenrolle.
  • Schulen: erhalten Zuschüsse aus Landeshaushalten; Träger bringen Eigenanteile ein.
  • Krankenhäuser: Betriebskosten über gesetzliche/private Kassen (DRGs), Investitionen über die Länder.
  • Pflege: über Pflegeversicherung, Eigenanteile und öffentliche Hilfen.

Kurz gesagt: Trägerschaft bedeutet nicht Finanzierung – Kirchenmittel wirken hier ergänzend.

Wirkung pro Euro

Wer Seelsorge, Gemeindeleben und kirchliche Kulturleistungen fördern möchte, setzt mit der Kirchensteuer genau dort an. Diese Leistungen stiften Gemeinschaft, sind jedoch schwer in standardisierten Outcome-Kennzahlen zu erfassen. Und sie sind weltanschaulich gebunden: Ziele und Prioritäten leiten sich aus kirchlichen Wertvorstellungen ab und müssen nicht mit persönlichen Überzeugungen übereinstimmen.

Ein erheblicher Teil der Kirchensteuer ist durch historisch gewachsene Strukturen gebunden – insbesondere durch Personal-, Gebäude- und Verwaltungskosten. Diese Fixkosten sichern den Fortbestand kirchlicher Infrastruktur, schränken jedoch den Anteil der Mittel ein, der unmittelbar in überprüfbare soziale Wirkungen fließt.

Wer überprüfbare Outcomes sucht, etwa in Gesundheit oder Armutsbekämpfung, erreicht diese präziser über zweckgerichtete Spenden an evidenzgeprüfte Programme, deren Wirkung pro Euro transparent modelliert wird, z.B. Kosten pro gewonnenem Lebensjahr oder pro verhinderter Erkrankung.

Optionen für evidenzbasiertes Spenden

Nicht jede und jeder will tief in Studien und Kosten-Nutzen-Analysen einsteigen. Zugleich bleibt die Kirchenmitgliedschaft eine persönliche Glaubens- und Zugehörigkeitsentscheidung.

Wer daneben oder stattdessen gezielt messbare soziale Wirkung sucht, kann Angebote nutzen, die nachweislich wirksam arbeiten und Spenden dorthin lenken, wo zusätzlicher Mitteleinsatz den größten Unterschied macht – etwa GiveWell oder Effektiv Spenden.

Als Brücke zwischen Anlage und Spende verfolgt Geld für die Welt einen langfristigen Ansatz: Spenden werden in einem breit investierten Fonds gebündelt, aus dem jährlich rund zwei Prozent des Vermögens an Organisationen mit nachweislich hoher Wirkung pro Euro ausgeschüttet werden. So entstehen planbare, evidenzbasierte Zuschüsse – ohne dass Einzelne fortlaufend selbst evaluieren müssen, wo der nächste Euro den größten Unterschied macht.